Baudelaire-Zyklus
Femmes damnées II
Eitempera, Ölkreide auf Leinwand 40x50 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Les Fleurs du mal
Hommage à Charles Baudelaire
Bemerkungen zu einem Bilderzyklus von Christoph M Frisch
von Armin Schmitt | 1990
„Des Künstlers Blick voll Lust den holden Körper schaut“ lautet ein Vers im Gedicht „A la Malabaraise“ von Baudelaire. Ob der lustvolle Blick auf den „holden Körper“ ein Spezifikum künstlerischer Wahrnehmung ist, mag dahin gestellt sein; dass er aber eine nicht zu übersehende Perspektive Christoph M Frischs ist, das verraten seine Bilder. Mehr noch, Frischs kreativer Impuls ist Ursache einer doppelten Lust: seiner eigenen – welch ein vergnüglicher Kampf muss es doch manchmal sein, stundenweise-tageweise, über einem Körper zu sitzen, ihn zu modellieren, einzufärben, auszukratzen, zu zerstören, neu zu schaffen – und unserer, des Betrachters Lust, indem er der Künstler, die Figur so haut-nah und, als Abbild, doch so unerreichbar fern vor uns hinstellt und sogar überlässt, sofern sich unsere Lust noch in einem einigermaßen tolerablen Verhältnis zum Vermögen verhält.
Die Erkenntnis, auf die ich eigentlich hinaus will, ist ganz einfach: Es gibt kaum ein Bild von Frisch, indem der Körper – oder etwas weitläufgiger formuliert: die menschliche Figur – nicht im Vordergrund stünde. „Ein Bild ohne menschliche Figur“, so bekennt er selbst, „erscheint mir leer, und ich bringe dergearteten Sujets nur selten die Konzentration entgegen, die ein Bild zu seiner Entstehung benötigt.“ - Die Anordnung der Figuren innerhalb der Bildfläche oder dem Bildraum ist sein formales Thema, das ihn immer wieder reizt, ob ihn nun gerade Trakl – wie letztes Jahr – oder – wie augenblicklich – Baudelaire oder ein freies Spiel beschäftigt: stürzende Menschenkaskaden, Figuren, frei schwebend im Raum, ohne Boden unter den Füßen, serielle Personenkonstellationen, neben Körperformationen von beinahe statuarischer Ruhe, die zwischen schemenhafter Archaik und delikatem Realismus oszillieren, findet man allemal.
Wohl konturiert entlässt der Bildhintergrund bisweilen die Gestalt, während er selbst sich ins Ungefähre verliert. Beharren die Figuren auf dem Gegenständlichen, Realistischen – mit anderen Worten: werden traditionell gemalt, wird die Struktur des Bildhintergrundes beinahe collagenartig konstruiert aus Liniengerüsten, geometrischen Formen, Textfragmenten, angedeuteten Körperumrissen, kontrastreichen expressiven Farbzonen und diffusen Farbschlieren, die sich in Ocker und Weiß über das Bild ziehen. Virtuose Balanceakte zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion sind die Bilder von Frisch. Gerade diese Mischung ist es, die mich reizt, die mir die Bilder manchmal entrückt, sie vieldeutig macht, bizarr, surreal oder wie immer man es nennen mag, und damit auch für die eigene Fantasie die Tür offen hält.
Beim betrachten der großformatigen Bilder ist unübersehbar, dass da einer mit dem Bild einen manchmal akribischen, manchmal heftigen Dialog führte: Kratzspuren, Fragmente von verworfenen Figuren, durchschimmernde frühere Bildentwürfe, sind nicht dekoratives Beiwerk, sondern Arbeitsspuren, die auf den Entstehungsprozess des Bildes verweisen. Schicht legt sich über Schicht, Formen und Farben wurden ständig korrigiert und revidiert. Diese sinnlich wahrnehmbare Dialektik von Zerstörung und Suche nach der neuen, der besten Form, wird nicht geleugnet, sondern ist ganz wesentliches Kompositionselement. Wenn Frisch sich ans Werk macht, hat er zwar eine Bildidee, aber kein bestimmtes Ziel im Kopf, keine Entwürfe schränken ihn ein. Vollendet ist das Bild dann, wenn der anregende Dialog zu Ende kommt, wenn Einverständnis besteht oder wenn sich Bild und Künstler nichts mehr zu sagen haben.
Wer so arbeitet kann schwerlich ein Illustrator sein, weil jedes Bild
eine ihm eigene Dynamik entwickelt.
Wer so arbeitet kann schwerlich ein Illustrator sein, weil jedes Bild eine ihm eigene Dynamik entwickelt. Zwar ergeben sich viele Bildideen aus einer intensiven Auseinandersetzung, ja dem Leben, mit Büchern und Musik, was aber aus dieser Auseinandersetzung entsteht – ist immer Eigenes, das sich weitgehend emanzipiert hat von der inspirativen Quelle. Es sind eigenwillige Übertragungen in die ihm gemäße Sprache. Wenn Frisch diesen Bilderzyklus Baudelaire widmet, für seine Bildtitel Anleihen bei dessen legendären „Fleurs du mal“ macht, so mehr aus Sympathie für den großen Lyriker und Nonkonformisten, denn aus der Absicht heraus, dessen Gedichte zu bebildern. Diese Affinität zu Baudelaire hat längst schon Geschichte im künstlerischen Werk Frischs: 1982 fand eine erste Ausstellung mit Werken statt, die von Baudelaire inspiriert waren, 1985 erschien eine Grafik-Mappe Le Vin | Hommage à Charles Baudelaire.
Obwohl der Bilderzyklus einen hohen Grad an Eigenständigkeit beansprucht, lassen sich doch verschiedene Ebenen der Beziehungsnahme aufspüren. Unmittelbare Textbezüge findet man am ehesten noch in den Bildern „Le vin de l'assassin“ oder „Le Vin des amants“, Alchimie de la douleur“, kann man gerade noch als eine Art Personenallegorie zum Baudelairschen Text verstehen, in anderen Bildern erweitert die Farbmetaphorik Baudelaires die Vorliebe Frischs für Pastelltöne um grelle, ungebrochene Töne: Rot, Gelb, Blau.
Aber es wäre müßig, mit den „Blumen des Bösen“ in der Hand, die Bildgalerie nun abzuschreiten. Lassen sie sich einfach von ihr gefangen nehmen. Christoph M Frischs Bilder lassen genug Raum für das eigene Erleben. Textfragmente geben weiter Anregungen, spannen zusätzliche Bedeutungsebenen auf und die Figuren bzw. Figurenkonstellationen, sind nicht Selbstzweck, sondern erzählen ihre Geschichte, sind Momentaufnahmen eines komplexen Geschehens, das es zu ergründen gilt.
Eine melancholische Grundstimmung spricht – nach meinem Empfinden – aus vielen der Bilder. Die Farbigkeit, die Körperhaltung der Figuren, die Wahl der Titel verstärkt diesen Eindruck, bilden gleichsam wieder eine Brücke zu den „Blumen des Bösen“. Ein Gedicht, „Recueillement“, das der Einladungskarte beigegeben war, möchte ich abschließend in deutscher Übersetzung in Erinnerung rufen und ihnen mit auf den Weg durch die Ausstellung geben.
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Einladungskarte zur Ausstellung im Verein MUSIKonTEXTE, Saarbrücken | 1990
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Madrigale Triste
Eitempera, Ölkreide auf Leinwand 40x50 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Femmes damnées
Eitempera,auf Leinwand 40x50 cm, 1990
Private Kunstsammlung, Homburg
Portrait Charles Baudelaire
Mischtechnik auf Papier 16,8x18,9 cm, 1990
Ohne Titel
Mischtechnik auf Papier 27,5x21,3 cm, 1990
Les Bijoux
Eitempera, Pigment auf Nessel 40x50 cm, 1990
Private Kunstsammlung Stuttgart
Alchimie de la douleur
Eitempera, Pigment auf Ingreskarton 23,9x32 cm 1990
Private Kunstsammlung
Femmes damnées
Mischtechnik auf Papier 30x42 cm, 1990
Private Kunstsammlung Saarbrücken
Alchimie de la douleur
Eitempera, Pigment auf Nessel 80x100 cm, 1990
Private Kunstsammlung Hamburg
Le Voyage
Eitempera, Pigment, Ölkreide auf Nessel 60x80 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Le Vin des Chiffoniers
Eitempera auf Karton 31x43 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Lesbos
Mischtechnik auf Papier 32,2x38,5 cm, 1990
Private Kunstsammlung
LA une Malabaraise
Mischtechnik auf Papier 19,2x32,3 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Le Vin de l'assassin
Mischtechnik auf Papier 19,6x32,4 cm, 1990
Le Vin des amants
Mischtechnik auf Papier 19,2x32,2 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Le Vin du solitäire
Mischtechnik auf Papier 21x33,4 cm, 1990
Private Kunstsammlung
L' âme du Vin
Mischtechnik auf Papier 19x27,1 cm, 1990
Private Kunstsammlung
Studienblatt
Rötel auf Ingreskarton 32x24 cm, 1990
Private Kunstsammlung
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