Die 2000er Jahre
Illuminationen
Einführung in die Ausstellung in Rotalben
von Armin Schmitt, 2007
„Illuminationen“ - der Titel der Ausstellung ist programmatisch, hebt seinen neuen künstlerischen Rohstoff –nämlich Glas - in den Mittelpunkt, ein Material, das sich Frisch in den letzten Jahren in immer neuen Versuchsanordnungen, experimentell, digital entwerfend am Computer und schwitzend in der Alchimistenkammer der Glasmanufaktur erschlossen, ja erobert hat. Glas, das muss erobert werden: Es ist – so kommt es mir jedenfalls vor – ein sehr schwieriges Material, schwer zu formen, schwer zu kontrollieren, schwerer zu bearbeiten als der gefügige Ton oder das allmähliche Modellieren einer Figur aus dem Holz oder Stein, Materialien, die Widerstand bieten, langsames Arbeiten erzwingen, Zeit lassen. Glas, einmal im Feuer geformt und erkaltet ist nur noch geringfügig zu verändern, es gewinnt schnell seine Form und der Künstler braucht viel Erfahrung, um die endgültige Form des flüssigen Glases zu zaubern, den Farbfluss im Inneren zu lenken. Die unmittelbare und direkte Formgebung tritt zurück, denn die Glut formt nach den Vorgaben des Künstlers. Frisch ist inzwischen hinter die Geheimnisse des Glases gestiegen, vielleicht auch inspiriert von einer jahrhundertealten Tradition der Glasherstellung in der Region, in der Frisch lebt und arbeitet und in der die künstlerische Auseinandersetzung mit Glas – denkt man an die Kunsthochschule in Saarbrücken, die im lothringischen Glasbläserort Meißenthal eine Dependance für Glaskunst hat oder an die sog. Glaskunsttage an ehemaligen Orten der Glasindustrie – eine zaghafte Renaissance erlebt. Wie dem auch sei: In den letzten zwei, drei Jahren sind neben den malerischen Arbeiten eindrucksvolle Kirchenfenster entstanden, Licht- Glasobjekte und Glasinstallationen wie beispielsweise zuletzt „ascending light“ in einer Sulzbacher Kirche. Auch das Herzstück dieser Ausstellung ist eine Glas-Installation. Variiert das Material, ereignet sich in den Glasarbeiten derzeit das eigentliche Neue, so bleibt Frisch seinen Themen und formalen Konstanten treu und so stehen auch die neuen Glasarbeiten in einem Kontinuum mit den vorangegangenen Arbeiten in Malerei und Plastik. Deshalb sei ein Blick auf diese typischen Konstanten im Oevre erlaubt.: Die menschliche Figur als zentrales Motiv
Figur mit Kreuz
Pigment, gem.Marmor auf Leinwand
2001 | Sammlung Landtag des Saarlandes
Eines der wichtigsten Motive im plastischen und malerischen Werk ist die menschliche Figur. Immer wieder hat sich Frisch ihr genähert, als Einzelfigur und in Gruppenkonstellationen, oszillierend zwischen realistischen und abstrakten Ausformulierungen, oft überhöht durch überlängte Körpermaße, wodurch sie erinnern an etruskische Figuren oder die grazilzerbrechlichen Plastiken Giacomettis. Dadurch erhalten sie bisweilen eine archaische Fremdheit, erinnern an die Ritzzeichnungen aus den Anfängen der Malerei in den neolithischen Höhlenzeichnungen. Verstärkt wird dieser Eindruck oft noch durch erdige Farbtöne, zeichenhafte Einritzungen, Kratzspuren, Ciffren, enigmatische Zeichen, Marmoroder Sandbeimischungen, die auf der Leinwand an die grobkörnige, poröse und unebene Struktur von Steinwänden erinnern, auf denen vor langen Zeiten die ersten Menschen ihre Beschwörungsformeln kritzelten, um die Welt besser in der Griff zu bekommen. Diese Archaik, denen man in vielen Bildern Frischs begegnet, aber auch in der Tonplastik und jetzt auch im Glas führt uns zu einer inhaltlichen, thematischen Entsprechung: dem Mythos, zu dem Frisch immer schon, in letzter Zeit verstärkt eine ausgeprägte Affinität hat.
Deshalb sind auch die Titel ernst zu nehmen, stellen Bezüge zu anderen Werken, flechten ein Netzwerk, legen eine Spur, eine Bedeutungsspur, Erinnerungsspur, weisen den Weg zur Inspirationsquelle
Textuelle Bezüge
Der Mythos als antiker Code grundlegende menschliche Erfahrungsmuster steht allerdings in einem größeren Kontext. Ein künstlerisches Werk kann ganz verschiedene Ursprünge haben: Der kreative Impuls kann von persönlichen Erfahrungen ausgehen, von Gegenständen, von theoretischen Position, von der Wirklichkeit, von anderen Kunstdingen und Kunstwerken und so weiter und so weiter… Bei Frisch haben viele Arbeiten einen textuellen Urgrund. Sie beziehen sich auf literarische – zu denen natürlich auch die Mythen gehören - bisweilen auch auf musikalische Werke. So hat Frisch beispielsweise einen großen Zyklus über Baudelaire oder zum Joseph-Zyklus von Thomas Mann vorgelegt. Viele seiner Bildtitel beziehen sich antike Mythen, mit denen sich Frisch in den letzten Jahren intensiv auseinandergesetzt hat. Es wäre aber falsch, diese mythischen Motive als Illustrationen zu begreifen. Ließe man den Titel der Bilder weg, wäre der literarisch-mythische Bezug kaum mehr zu identifizieren. Deshalb sind auch die Titel ernst zu nehmen, stellen Bezüge zu anderen Werken, flechten ein Netzwerk, legen eine Spur, eine Bedeutungsspur, Erinnerungsspur, weisen den Weg zur Inspirationsquelle. Erst durch die literarisch-mythische Rückbindung im Titel werden so für die Betrachterin oder den Betrachter Bedeutungsareale erschlossen, in denen sie bzw. er sich ergehen können. „Beim Blick über den Ozean“, so formuliert Frisch selbst, „freut sich der Schiffer über jede kleine Landmarke, die er zur Orientierung nutzen kann.“ Mythen sind solche Landmarken, die immer wieder durch die Jahrhunderte hindurch neu angeeignet , neu verarbeitet, gedeutet und verwandelt werden in neue Aktualität. Frisch hat so Anteil an dem schon jahrtausende andauernde Projekt „Arbeiten am Mythos“. Wenn auch die meisten der Arbeiten literarisch vermittelt sind– also ihrerseits selbst von Kunstwerken inspiriert – so wäre es doch ein verkürzender Blick auf die Arbeiten, denn es gibt auch ganz andere Tendenzen, beispielsweise in der Malerei. So sind in den letzten Jahren auch Arbeiten entstanden, die sich an Alltagsdingen orientieren, darunter auch fotorealistisch gemalte Details und neorealistische multiple Bildcollagen. Wenn man so will, Indizien für typische postmoderne Haltungen: Der Wechsel der Stile, das Schwanken zwischen abstrakten und konkreten Formen, das Zitieren von Vorgängerwerken, die Distanz zum Sozialen. Aber lassen wir die Etiketten, bleiben wir beim Konkreten.
Seestück
Pigment, Eitempera und gemahlener Marmor auf drei
Leinwände 90x80 cm, 2006 | Private Kunstsammlung
Form und Farbe
Auch wenn er sich oft auf literarische Werke bezieht, ist Frisch kein Illustrator. Das hängt mit der Arbeitsweise zusammen. Von dem Text oder besser dem Kon-Text geht lediglich ein kreativer Impuls aus, der im Laufe eines komplexen Arbeitsprozesses zunehmend an Eigenleben gewinnt, sich von der Inspirationsquelle emanzipiert. Diese Arbeit ist gekennzeichnet durch eine lange Suche nach der endgültigen Form, ein Vorgang gezielter Steuerung, aber auch zufälliger Funde. Dieser Prozess bildet sich – mehr oder weniger erkennbar - auf vielen Arbeiten ab: Vorangegangene Bildentwürfe, Verworfenes verschwindet oft unter der endgültigen Malfläche, Arbeitspuren bilden sich ab, Kratzspuren von der Malerspachtel zurückgelassen, Linien, Farbflächen treten zueinander in Bezug, verändern sich wieder – bis eine endgültige Fassung erreicht ist. Bisweilen ist diese Herangehensweise informellen Methoden verwandt. Man kann das so entstehende Kunstwerk als das Ergebnis eines Dialogs zwischen dem Künstler und seinem Material bezeichnen, ein Dialog, der bisweilen sehr lange dauern kann, in dem das ursprüngliche Motiv sogar aus den Augen gerät und die Suche nach einem harmonischen Miteinander von Form und Farbe zur eigentlichen Sache wird. Deshalb sollten auch die thematischen Verweise hier nicht überbewertet werden, denn oft gewinnt die Gestaltung und der Farbgebrauch die Oberhand über das Thema oder besser: wird selbst zum Thema: Die Farbe wird häufig in Gesellschaft mit maluntypischen Materialien wie Goldauflagen, Papier, Sand , Marmorstaub verarbeitet. Ein Gemisch aus Eitempera, diesen Materialien, und Pigment ergibt die sichtbaren Oberflächen der Gemälde. Die Möglichkeiten der Eitempera, die Frisch selbst herstellt, mit ihrer intensiven Farbwirkungen – wunderbar Blau- und Rot- Töne sind zu entdecken! - hat Frisch seit den 80er Jahre für sich erschlossen. Die Eigenschaften dieses Bindemittels belässt den Pigmenten ihren natürlichen Glanz und stabilisiert die reliefartigen Materialebenen auf den Untergründen. So findet er immer wieder neue Facetten und man überschätzt die Farbgebung sicherlich nicht, wenn man den ästhetischen Reiz vieler Arbeiten auf sie und die Eleganz hochgereckter Gestalten zurückführt.
Eine Hypersensibilität gegenüber Aerosolausdünstungen führte vor einigen Jahren zu einer Relativierung der Malerei. Frisch war sozusagen gezwungen, sich mit anderen Materialien auseinanderzusetzen und eroberte so die dritte Dimension: Es entstanden erste plastische Arbeiten, zunächst in Ton. Allerdings beeinflussten sich die unterschiedlichen Ausdrucksformen gegenseitig: Die flächigen Bilder bergen reliefartige Strukturen, die Figurenkaskaden der Malerei wurden in die Dreidimensionalität der Plastik übertragen. Diese Erfahrungen übersetzt er seit einiger Zeit auch in sein neues Experimentier-, Spiel- und Arbeitsfeld. Aber in den Glasobjekten verschmelzen Bildhauer und Maler. In die Transparenz des Glases sind die Figuren der Bilder eingebrannt, der Materialmix der Bilder findet einen Widerhall in den Glasformen: Marmor, Eisen, das Schwarz verbrannter Knochen, Eitempera bilden Figur- und Farbeinschlüsse, auf Reliefs winden sich zerbrechliche Glasstrukturen vor verbrannten und rotglühenden Hintergründen.
Ein Blick auf einzelne Werke der Ausstellung
Treten wir einmal näher an die hier gezeigten Kunstwerke heran, machen wir einen kleinen imaginären Rundgang
Glasobjekte
Im Mittelpunkt steht eine Installation mit dem Titel KRONOS. Kronos gilt, wie Sie wissen, als der Gott der Zeit, die Zeit selbst. So mag der rostige Reif – ein object trouvé aus den Ablagerungen des Industriezeitalters, einerseits in der Kreisform den Lauf der Zeit, die ewige Wiederkehr zu symbolisieren, andererseits verweist es aber auch auf den Zerfall, das Vergehen, denn an dem eisernen Reif sind die Oxydationsprozesse deutlich wahrnehmbar. Vieldeutig ist auch das gläserne Sägeblatt und der Scherbenhaufen – eine Anspielung auf das Zerbrechliche der Zeit, der unvermeidbare Durchtrennen des Lebensfaden. Die Glasobjekte, die Frisch bisher geschaffen hat, lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe - sie ist in der Ausstellung nicht repräsentiert - bilden Glas-Lichtinstallation, wie beispielsweise die Olympos-Gruppe, eine Wandinstallation mit praktischer Funktion, den sie übernimmt auch die Funktion der Beleuchtung und entfaltet durch die integrierten Lichtquellen erst ihre Wirkung. Dann die Gruppe von Glas-Wandreliefs, wie beispielsweise die hier gezeigten kleinen Figuren-Objekte: Cressida:Vor einen schwarzen porösen Hintergrund befindet sich eine zerbrechliche Figur aus weißem, milchigem Glas mit goldfarbenen Glaseinschlüssen, sodass eine ausgeprägte Kontrastwirkung erzielt wird. In den Variationen dieses Motivs, Phantasos und Prometheus werden die Figuren von silbernen, oxidierten Bändern gehalten.
Schließlich die Gruppe der großen freistehenden Glasobjekte: So gibt es rechteckige Glasflächen, die in ihrer unterschiedlichen Dicke unterschiedliche Lichtdurchlässigkeiten und Lichteffekte erzeugen, in denen zudem Figurengruppen eingeschlossen sind, so als wären die eingefroren in Eis. Schön auch die beiden Mondfiguren, die schemenhaft sich im Glas abbilden, die Köpfe gerahmt von Mondsicheln. Dann ein Objekt, in dem eine der typischen Kokonfiguren isoliert dargestellt ist, eine direkte Übersetzung der gemalten Figuren in die Plastizität des Glases. Wir können gespannt darauf sein, was Frischs sich an Gestaltungsmöglichkeiten experimentell und forschend noch erarbeiten wird.
Glasplastiken von Christoph M Frisch
Arbeitsweise
Zur Entstehung solcher Glasplastiken sind Erfahrung und Experimentierfreude notwendig. Ausgangspunkt komplexer Objekte sind häufig Bilder, die als Modell für Entwürfe dienen. Diese entstehen meist digital am PC, was Dreidimensionalität und Farbvariationen ermöglicht. Das virtuelle Bild wird dann in der Glasmanufaktur realisiert. Trägerplatten bestückt mit Glasstaub, Glasstücken oder glasfremden Materialien bilden die Grundlage für das zu entwickelnde Objekt. Dieses Glassandwich wird dann so erhitzt, dass alle Teile miteinander verbacken oder verschmelzen. Im Ofen wird anschließend eine Form gebaut, über die dieses entstandene Glasteil gelegt wird. Durch die Ofenhitze wird das Glas weich und passt sich der gewünschten Form an.
Mohngesang
Eitempera auf Karton 76x56 cm, 2007
Malerei
Eingerahmt werden die Glasobjekte von einem mythischen Bilderbogen: Mohngesang, Phantasos, Phobus, Oneiroi, Labyrinth und Haus der Äxte sind sie betitelt. In dem fünfteiligen Bilderzyklus „ Labyrinth„ wird in erdigen Brauntönen die Geschichte des Labyrinths von Knossos erzählt: Theseus ist erkennbar, den Faden in der Hand haltend, der ihn wieder aus den wirren Gängen hinausführen wird, dann das Labyrinth selbst, in der Mitte der menschenverschlingende Minotaurus, halb Stier, halb Menschengestalt, die Frucht einer unheilvollen Verbindung eines Stieres mit Pasiphae, der Gattin des kretischen Königs Minos, dann die Doppeläxte, -sie sind das Schriftzeichen für das Wort Labyrinth-, schließlich eine sich abwendende Figurengruppe - die zukünftigen oder verschonten Opfer? Zusammengehalten wird der Zyklus nicht nur durch die farbliche und formale Gestaltung, sondern durch eine streng symmetrische Architektur. Im Zentrum steht die Figur des Minotaurus, gerahmt von zwei zeichenhaften Bildern – den Spiralen des Labyrinth und den Doppeldreiecken der Äxte – emblemartige Chiffren, die wie Beschwörungsformeln wirken, die ihrerseits von den äußeren Figurenbildern zusammengehalten werden. Solche emblematischen Zeichen finden sich auch auf den Phobus-Bild. Phobus ist ein alternativer Name für Ares, den Kriegsgott, woraus sich auch die Anlage ergibt: eine hünenhafte, nackte Gestalt, die alles niederzutrampeln scheint und entfernt an expressionistische Kriegsallegorien oder die Kriegsphantasien des Spaniers Francesco Goya erinnert.
An dieser langen Geschichte, einer immer wieder neuen Anwandlung des Mythos, leistet Frisch einen Beitrag und nimmt uns mit, lädt uns ein, ihm ein Stück in diese fern-nahen Welten zu folgen.
Phantasos, eine traum-blauschwarze Figur vor mauvefarbenem Hintergrund, eine mythische Gestalt die zu den Oneiroi gehört, Traumdämonen, Kinder des Schlafgottes Hypnos. Morpheus, und auch Phobetor gehören zu ihnen. Sie alle sind die Schöpfer prophetischer oder einfacher Traumbilder. Morpheus der mächtigste unter ihnen, erscheint uns im Bild Mohngesang, lässt in den Träumen Menschenbilder entstehen. Phantasos ist für die Darstellung aller unbelebten Dinge wie zum Beispiel Steine, Wasser oder Feuer verantwortlich. -
In seinem berühmten Buch „Arbeit am Mythos“ hat Blumenberg eindrucksvoll gezeigt, wie sehr die Mythen als Bilder existentieller Situationen zu Aktualisierungen anregen. „Es hat einen besondereren Reiz“, schreibt Frisch, „sich dem nahezu zeitlosen Klang mythischer Erzählungen zu nähern. Diese erfahren deshalb auch immer wieder neue Interpretationen. Ihre nun miteinander vergleichbaren Umsetzungen in den schreibenden, darstellenden und bildenden Künsten, zeigen uns menschliche Kulturgeschichte in ihrer lebendigen Entwicklung.“ An dieser langen Geschichte, einer immer wieder neuen Anwandlung des Mythos, leistet Frisch einen Beitrag und nimmt uns mit, lädt uns ein, ihm ein Stück in diese fern-nahen Welten zu folgen. Und so erhält der Titel der Ausstellung einen doppelten Sinn. Es geht nicht nur um die Anzeige eines neuen Arbeitsschwerpunktes, sondern auch um die „Ausleuchtung“ verschütteter mythischer Erinnerung. Ich wünsche dem Künstler und den Veranstaltern der Ausstellung viel Erfolg.
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Oneiroi
Mischtechnik auf Karton
Love Affaire
Mischtechnik auf Karton
Goldrausch
Mischtechnik auf Karton
Frau mit Feder
Mischtechnik auf Karton
Paar
Eitempera, Pigment und gemahlener Marmor
auf Leinwand | 60 x 80 cm Private Kunstsammlung
Verschwiegenheit der Spiegel
Tusche und Gouache auf Karton
49,5 x 58,5 cm | 2000
Verschwiegenheit der Spiegel
22. März 2001
von Gabrielle Kriessler
Sind Spiegel verschwiegen? Im bekannten Märchen Schneewittchen, gibt der Spiegel Tatsachen Preis und ist somit gar nicht verschwiegen. Der mantische Spiegel als Zukunftsspiegel der bösen Zauberin-Stiefmutter war Symbol der weissagenden Sibylle und nimmt eine Sonderstellung in der Bedeutung von Spiegeln ein.
Verschwiegenheit der Spiegel ist diese Ausstellung betitelt, die wir heute Abend eröffnen und ich befrüße sehr herzlich Christoph M Frisch, der mit diesem Titel unsere erste Frage aufgeworfen hat.
Christoph M Frisch, den wir bereits 1997 hier vorgestellt haben, wurde 1959 in Neunkirchen im Saarland geboren. Er erhielt eine Ausbildung als Goldschmied, in Kirchenmalerei, in Radierung und als Siebdrucker. Seit 1979 arbeitet er als freischaffender Künstler.
Die Titel seiner Arbeiten zeigen es, Christoph M Frisch beschäftigt sich gerne mit mythologischen und biblischen Themen und er hat eine große Affinität zu Baudelaire. Zahlreiche Zyklen sind im Laufe der Jahre entstanden – einen möchte ich hier kurz erwähnen, seinen letzten, den Joseph-Zyklus, den wir vor einigen Jahren hier ausgestellt haben.
Die hier ausgestellten Arbeiten bilden keinen eigenen Zyklus, es sind scheinbar flüchtige Eindrücke, zum Teil auf altem Notenpapier aufgebracht. Immer stehen langgezogene hohe schlanke Figuren im Zentrum, maniriert erscheinen sie, unwirklich, jenseits jeglicher Alltagswirklichkeit.
Menschliche Figuren, denen was ihre Menschlichkeit ausmacht, abhanden gekommen ist – ohne jegliche individuelle Züge schweben sie irreal im Raum, schälen sich aus dem Untergrund, ent – wickeln sich, scheinen sich befreien zu wollen und werden wieder eins mit ihrem distanzierten Hintergrund. Wie boten aus einer anderen Dimension, mythische Gestalten zwischen dem wohin und woher, verweisen sie auf eine Anfangszeit, die jeder historischen Zeit voraus geht. Wie im Mythos appellieren sie an eine imaginäre Welt von göttlichen und halbgöttlichen Wesen – unwahr im faktischen Sinn aber metaphysisch war.
Diese Erscheinungen legt der Künstler nicht planmäßig an. Durch verschiedene Schichten von eigens angerührter Eitempera, die von sprödem Charakter matt und stumpf auftrocknet, ähnlich der Frescomalerei, bildet sich die Figur heraus. Angetrocknete Untergründe bekommen einen weiteren Überzug. Vereinzelt abgesprengte Farbstellen lassen den Untergrund neu definiert durchscheinen. Das Ergebnis ist nicht vorhersehbar. Wie bei dem Bild Der Imperator bildet sich eine Gestalt heraus, wie eine Mmie in Tücher eingewickelt, aus denen fadenartige Tentakeln herauswachsen und Verankerung im Farbhintergrund suchen, aus dem die Erscheinung auftaucht. Wie ein Geist aus der Flasche, nach unten sich stark verjüngend taucht dieses Wesen scheinbar aus dem Nichts auf wie eine Wesenschau.
Die Verbindung von Techniken aus der Malerei und Grafik ermöglichen dem erwünschten Schöpfungsvorgang variantenreiche Resultate. Eitempera, Aquatinta, Aquarell, wiederholt aufgetragen, wieder verwischt oder mit dem Schwamm abgewischt ergeben Strukturen, die nur bedingt gesteuert werden können. Die Oberfläche der Bilder werden mit Pinsel und Radiernadel bearbeitet. Der Aufbau der Schichten entscheidet, was Unter- und Hintergründe später freigeben werden. Strukturen werden gefunden, wieder verworfen, neu gesucht. Immer wiederkehrende Formeln werden langsam zum Alphabet. Veränderungen entstehen langsam – kontinuierlich und ohne harte Stilbrüche innerhalb ihrer Entwicklung.
Nur wenige Künstler haben ähnlich verzogene Figuren für ihre Kunstwerke benutzt. Der Bildhauer Giacometti kam zu dem Schluss, „...dass jedes Gegenüber nur als Erscheinung umgeben von Raum, in einem bestimmten Blickfeld und perspektivisch verzogen existiert.“ Angeregt von der Phänomenologie der Wahrnehmung des französischen Philosophen und Freundes Jean-Paul Sartres Maurice Mereau-Pontry wird später der Monograph Giacomettis vom phänomenolgischen Realismus Giacomettis sprechen.
Die schattenhaften Figuren Christoph M Frischs sind Ausdrucksträger. Gesichtslos und in strenger autistischer Isolation charakterisieren sie nicht – ihr immaterielle Transparenz und ihr Verlust von Körperlichkeit vermittelt das Gefühl von Verlassenheit.
"Die Existenz geht dem Wesen voraus"
(Sartre)
Da der Mensch als einziges Sein sich seiner Existenz bewusst ist und diese für ihn daher in Frage steht, ist er gezwungen, sich das Wesen, das er dieser Existenz verleihen will, durch sein Leben erst selbst zu erschaffen. Diese Ungewissheit ist Ursache für das grundlegende Gefühl der Verlassenheit, der Angst.
Erscheinungen – erkenntnistheoretisch sind Erscheinungen Anzeichen von etwas anderem. Kant bestimmt das Wesen der Erscheinung aus dem dynamischen Geschehen produktiver Einbildungskraft. Diese ist nicht ein Vermögen oder eine Fähigkeit, die wir als erkennen-könnende Wesen besitzen und nach Bedarf zur Anwendung bringen können, verstanden sondern „sie ist das Geschehen des eines Hervorbringens auf die Weise eines B i l d e n s. Das Erscheinen selbst ist dieses als Bilden geschehende Hervorbringen“.
Frischs figürliche Erscheinungen sind ein Auftrag an unsere Einbildungskraft, eigene Inhalte zu bilden. Visionshaft gaukeln sie uns Traumbilder vor und bebildern den Satz des Yogi Bhajan: „Wir sind nicht menschliche Wesen, die eine spirituelle Erfahrung machen, wir sind spirituelle Wesen, die eine menschliche Erfahrung machen.“
Von „Stimmen hinter der Wand“, „Befragung eines Kriegers“, „Ohne Schlangenhaut“ – die Titel, die Christoph M Frisch seinen Bildern nach ihrer Erschaffung zuordnet, sind selbstständige Schöpfungen parallel zum Bild, führen ein Eigenleben; den direkten Bezug zu suchen, ist müßig. Dennoch eröffnen sie dem Betrachter weitere Assoziationsmöglichkeiten, die über die rein visuelle Ästhetik hinausgehen.
Verschwiegenheit der Spiegel – die Antwort auf unsere Eingangsfrage lautet – ja. Der Blick in den Spiegel ist eine individuelle Aktion, die nicht übertragbar und berechenbar. Die Erkenntnis, die ich aus diesem blick ziehe, ist eine höchst persönliche, nicht zu hinterfragende, nicht einmal reproduzierbare. Der Spiegel wird mein durch ihn gewonnenes Geheimnis auf der Suche nach Mythos und Zeitlosigkeit nicht preisgeben – vielmehr jeder neue Blick hinein wird mich weiterbringen auf meiner Suche nach Erkenntnis.
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Die Jagd
Eitempera auf Leinwand-Triptychon | 2001
Sammlung der Stiftung Kulturbesitz Kreis St. Wendel
Berührung
Eitempera auf Leinwand | 45 x 120 cm | 2001
Private Kunstsammlung Luxemburg
Paar
Eitempera auf Karton | 2001
Private Kunstsammlung
Ohne Titel
Mischtechnik auf Karton 25 x 115 cm | 2001
Private Kunstsammlung
Blauer Akt
Eitempera auf Karton | 2001
Private Kunstsammlung
li:
Ohne Titel
Eitempera auf Leinwand | 40 x 120 cm| 2001
Private Kunstsammlung
ri:
Ohne Titel
Eitempera auf Leinwand | 2001
Private Kunstsammlung
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